Gastfamilie

Marlena Frei: Bye Bye Outback – Mein Weg vom Minendorf in die Großstadt

Vor zwei Monaten flog ich ans andere Ende der Welt, um die beste Zeit meines Lebens zu erleben. Ich wollte Australien erkunden, neue Leute treffen und jeden Tag genießen. Ich freute mich riesig auf diese Zeit, hoffte sie würde die beste Zeit meines Lebens werden.

Doch dann landete ich in einem Minendorf mitten im hässlichen Landesinneren Australiens und schaffte es nicht meinen Traum zu leben. Als ich es mir endlich eingestand, entschied ich mich meine Gastfamilie zu verlassen. Doch bis dahin ist so einiges passiert…

Viel zu früh, es war im Juli 2015, sagte ich Kris und Bev zu. Ich war total aufgeregt, konnte es kaum erwarten und verbrachte im letzten halben Jahr viel Zeit damit meinen Auslandsaufenthalt zu planen. Mit meiner Gastfamilie blieb ich in Kontakt, ich versuchte ihr Fotos und Informationen aus Deutschland zu senden, um früh eine Verbindung herzustellen. Ich freute mich unglaublich auf die Zeit und konnte es kaum erwarten.

Im Herbst hatte ich dann viel Kontakt zu dem ehemaligen deutschen Au pair. Sie flog im September nach Australien und schien gar nicht glücklich in der Familie zu sein. Sie erzählte mir einige schockierende Dinge, berichtete mir von einigen Problemen sowohl mit Mia als auch mit den Eltern. Auf einmal war ich verunsichert. Hatte ich die richtige Entscheidung getroffen? Hatte ich mich vielleicht zu früh entschieden? Sollte ich nach einer neuen Familie Ausschau halten? In verschiedenen Facebookgruppen posteten viele Familien, dass sie ein Au pair suchten. Viele von ihnen wohnten nah an einer großen Stadt oder am Meer. Ich war mir sehr unsicher, doch ich wollte meine Familie nicht im Stich lassen. Ich war so fasziniert von ihnen gewesen, ich konnte mich doch nicht komplett getäuscht haben?! Ich entschied mich dazu, mich nicht von dem anderen Au pair irritieren zu lassen und meine eigenen Erfahrungen zu machen.

Im Januar ging es dann also los. Ich war total aufgeregt und freute mich total meine Familie nun endlich persönlich kennen zu lernen. Doch auf der anderen Seite sprach ich mit vielen anderen Au pairs und während alle in großen Städten lebten, würde ich in einem unbekannten Dorf im Landesinneren leben. Ich war nach wie vor verunsichert, doch ich glaubte fest daran, dass eine gute Familie besser als eine gute Lage sei und freute mich.

Am 24. Januar landete ich in Emerald. Vorher hatte ich zwei Wochen in dem wunderschönen, grünen Neuseeland verbracht. Australien war nichts im Vergleich zu Neuseelands Landschaft. Ich schaute aus dem Flugzeug und war enttäuscht. Es war hässlich, grau und unbelebt. Doch als ich am Flughafen auf meine Familie traf, war ich mega glücklich. Wir verstanden uns gut, wir gingen sofort zusammen essen und einkaufen. Während dem Mittagessen erzählten sie mir, dass sie am nächsten Wochenende campen fahren wollten. Ich freute mich unglaublich auf die Zeit. Die Familie faszinierte mich, die Landschaft enttäuschte mich. Wir fuhren über eine Stunde von Emerald nach Tieri. Tieri wirkte bei meiner Ankunft total klein und verlassen. Doch das machte mir nicht allzu viel aus, ich war einfach überglücklich, dass ich angekommen war.

Landschaft und Tierwelt Australien

Die ersten Wochen hielt meine anfängliche Begeisterung an. Ich war froh in Australien zu sein und genoss die neue Lebensweise. Ich verstand mich gut mit den Eltern und das Kind war zwar nicht einfach, doch alles war machbar. Ich versuchte alles, um ein perfektes Au pair zu sein und die Familie zufrieden zu stellen. Ich bekam auch des Öfter die Rückmeldung, dass sie mit mir sehr glücklich seien. Wenn ich für sie etwas im Haushalt machte, bedankten sie sich. Es war nach wie vor aufregend. Doch mit der Zeit änderte sich alles. Die Eltern verhielten sich anders, erklärten mir in einem Gespräch, was sie alles verlangten (ich dachte, sie seien zufrieden). Sie verlangten immer mehr Hilfe im Haushalt, und dass ich meine Zimmertür tagsüber offen lasse, um immer erreichbar zu sein. Seit diesem Gespräch fühlte ich mich zunehmend unwohler und unsicherer. Auch verbrachte ich zunehmend meine freie Zeit alleine im Zimmer. Ich versuchte Leute in Tieri kennen zu lernen, doch das war hoffnungslos. Eine Frau teilte mir mit, dass alle jungen Leute Tieri nach der Schule sofort verlassen würden und in dem Ort nur Minenarbeiter oder Familien lebten. Es war sehr frustrierend und anstrengend immer eine Stunde fahren zu müssen, um Leute zu treffen. Es schien als würde die Zeit gar nicht vergehen. Ich plante Aktivitäten mit Mia, ging mit ihr in die Playgroup, versuchte bei anderen babysitten zu können. Ich brauchte Abwechslung und den Kontakt zu anderen. Doch nichts half. Ich fühlte mich verloren und einsam in Tieri. Ich fühlte mich unwohl und unsicher in der Familie. Ich schaffte es nicht glücklich zu sein.

Manchmal spielte ich mit dem Gedanken die Familie zu verlassen. Doch ich wusste, dass ich das nicht tun könnte. Ich wollte es durchziehen und klammerte mich an meine anschließende Urlaubsplanung. Wenn Tim, mein Freund, mir nicht zugesagt hätte, dass er mich im Juni besuchen komme, wäre ich vielleicht gar nicht mehr in Australien. Doch so hatte ich eine Motivation durchzuhalten.

Vor knapp 10 Tagen traf ich dann zwei deutsche Au pairs in Emerald. Wir redeten einfach und erzählten wie es so bei uns läuft. Ich erzählte ohne große Absichten von meinem Leben in Tieri und beide waren sich einig, dass ich die Familie verlassen sollte. Ich war verwirrt und unsicher. Hatten sie vielleicht recht? War ich nicht nach Australien gekommen, um die beste Zeit meines Lebens zu erleben? Statt dies zu tun, langweilte ich mich in einem Minendorf zu Tode. Sie ermutigten mich, an mich zu denken. Zunächst war ich sehr verwirrt, doch jetzt bin ich ihnen sehr dankbar dafür. Sie haben mir die Augen geöffnet und mir Mut gemacht. Ich denke so viel an andere Menschen, dass ich vergessen hatte, wieso ich nach Australien gekommen war. Ich wollte meinen Traum leben, glücklich sein und neue Erfahrungen sammeln. Ich musste einsehen, dass es mit dieser Familie in diesem Dörfchen unmöglich war. Ich entschied mich dazu die Familie zu verlassen und eine neue zu suchen.

Ich ließ mir noch einige Tage Zeit zum Nachdenken, doch es wurde jeden Tag schlimmer, was mir zeigte, dass es höchste Zeit war zu gehen. Ich fing an nach neuen Familien zu suchen, denn meinen Traum von Australien wollte ich nicht aufgeben. Über das Wochenende fuhren wir Campen. Es war ein schönes Wochenende, endlich hatte ich Freunde und das Meer um mich herum.
Doch ich wusste, dass ich nicht mehr lange warten konnte, ich musste es ihnen sagen. Dienstagsabends, nachdem wir vom Campen nach Hause gekommen waren, suchte ich das Gespräch. Mir ging es total schlecht. Ich hatte Angst davor. Ich wusste, dass sie es nicht verstehen würden. Doch es gab nur zwei Möglichkeiten, mit ihnen reden und gehen oder noch drei weitere Monate bei ihnen bleiben, was unvorstellbar war. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und erzählte ihnen von meinen Plänen. Sie waren außer sich. Sie machten mir einige Vorwürfe und sagten mir, sie würden mich nicht gehen lassen, sie seien auf mich angewiesen. Mein Gastvater sagte mir nur, wie enttäuscht er sei. Es war ätzend. Sie war außer sich, schrie. Keiner verstand mich. Sie sahen sich selbst als die perfekte Gastfamilie und hatten nicht damit gerechnet. Es waren schreckliche Minuten, am Ende einigten wir uns darauf, dass ich erst mal bis zum nächsten Wochenende bleiben würde. Ich wusste, dass ich sie nicht von heute auf morgen verlassen könnte, doch genauso wusste ich, dass sie nach diesem Gespräch nicht mehr normal mit mir umgehen könnten.

Nach dem Gespräch fing ich an mit Familien zu skypen. Zunächst mit einem Papa aus Melbourne, der das erste Au pair für seinen 20 Monate alten Sohn suchte. Am nächsten Morgen lernte ich noch die Mama und den kleinen Jungen Riley kennen und wir sagten uns zu. Ab dem Wochenende könnte ich in meine neue Familie gehen. Kurz später kam meine Gastmama in mein Zimmer und sagte, dass ich packen und das Haus verlassen solle. Sie habe nochmal mit Bevan geredet und sie wollten nicht länger in demselben Haus mit mir wohnen. Ich solle mal Mädels aus Emerald fragen, ob sie mich abholen könnten.

Mit einer solchen Nachricht hatte ich sicher nicht gerechnet. Ich war total fertig, doch musste sofort anfangen alles zu organisieren. Ich rief eine Freundin aus Emerald an, die mich zum Glück abholen kam. Den ganzen Mittag verbrachte ich bei ihr und buchte von dort meinen Flug. Es war definitiv ein verrückter Tag, denn 10 Stunden nach meinem Rauswurf war ich bereits im Flieger auf dem Weg nach Brisbane. An diesem Tag wurde mir deutlich wie vielen fürsorglichen und super netten Menschen ich während meinem Australienaufenthalt schon begegnet war. Zita hat mir den Tag gerettet, hat mich abgeholt, mich zum Flughafen gebracht und mit mir den Flug gebucht. Viele andere Au pairs aus Emerald haben mir ihre Hilfe und eine Möglichkeit zum Übernachten angeboten. Mein neuer Gastpapa hat mir angeboten ich könnte bei ihnen auf der Couch oder bei seinem Bruder in Brisbane schlafen. Eine Freundin aus Melbourne hat mir ebenfalls eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten. All diese Menschen hatte ich entweder nur selten oder noch gar nicht persönlich getroffen und doch waren alle für mich da! Ich war so überwältigt und glücklich. Abends kam ich in Brisbane an, nahm einen Bus bis South Brisbane wo mich Peter, der Bruder von meinem Hostdad, abholte. Im Nachhinein habe ich das einzig Richtige gemacht und bin glücklich. Ich weiß zwar immer noch nicht, was ich über meine Gastfamilie denken soll, doch ich bin froh dort weg zu sein. Nun kann ich nach vorne schauen und hoffentlich eine unvergessliche Zeit mit einer tollen Familie und vielen Freunden in Melbourne erleben.

Fakten über Tieri (Quelle Wikipedia):
Tieri ist ein kleines Minendorf in Central Highlands Region in Queensland.

  • Einwohner ca. 2000
  • Entfernungen: 36 km Capella, 85 km Emerald, 328 km Rockhampton und 917 km Brisbane
  • Besonderheit: Library, einige Shops, ein Pub und ein Freibad

Da es sich um ein Minendorf handelt gibt es „Single Man“- Wohnungen, in dem die Minenarbeiter während ihrer Arbeitszeit wohnen können. Besonders ist auch, dass das Dorf von der Mine gekauft wurde. Daher sind alle Häuser ähnlich und man bekommt eine Hausart je nach Personenanzahl zugeteilt. Mir wurde gesagt, dass Tieri dadurch auch zu den reichsten Orten zählt.
Wenn ihr nachvollziehen wollt, wie ich mich in den letzten Wochen gefühlt habe, gebt bitte „Tieri Queensland“ in Google Maps ein.

Bildquellen: © Marlena Frei

1 Kommentar

  1. Reisefan 12. April 2016

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