Archäologischer Astrotourismus in Sachsen-Anhalt
von Christian Wolter
Eine Palisadenwand übermannshoher Baumstämme inmitten einer sanft gewellten Ackerlandlandschaft. Geht der Wanderer näher heran, zeigt sich die Ringform des Bauwerks. Die Kreisgrabenanlage nahe des Dorfes Goseck, hoch oben über dem Tal der Saale in Sachsen-Anhalt.
1675 Eichenpfähle stecken im Boden. Ein zwei Meter breiter und 1,50 Meter tiefer Graben mit 71 Metern Durchmesser umschließt das Gebilde. Der Ring misst 56 Meter im Durchmesser, durch ein Tor an seiner Nordseite gelangt der Besucher in den Innenraum, der durch einen kleineren Kreis mit 49 Meter Durchmesser gebildet wird.
Nach Ansicht von Archäoastronomen handelt es sich hier um das früheste Sonnenobservatorium der Welt, die Datierungen nach der Radiokarbonmethode ergeben ein Alter von 6.900 Jahren.
Die Anlage lieferte tagesgenau zwei Marken im Jahreslauf und damit Orientierung für die optimale Zeit für Aussaat und Ernte.
Wie Wolfhard Schlosser vom Astronomischen Institut der Ruhr-Universität in Bochum herausfand, zeigen die Visierlinien vom Zentrum der Anlage zu den beiden südlichen Toren auf die Orte des Sonnenaufgangs bzw. Sonnenuntergangs am Tag der Wintersonnenwende für etwa das Jahr 4.800 vor Beginn unserer Zeitrechnung. Weitere Öffnungen im Palisadenkreis ermöglichen die Bestimmung der Sommersonnenwende.
In der Jungssteinzeit, dürfte sich der Anblick der Anlage wenig vom heutigen unterschieden haben. Vermutlich stand das Observatorium wie in unseren Tagen frei inmitten einer weiten Ackerfläche.
Die letzte Eiszeit war damals erst vor 3.000 Jahren zu Ende gegangen. Mitteleuropa war nun bis zu 80% mit Mischwald aus Eichen, Ulmen und Linden bedeckt, auch Buchen und Eschen kamen vor. Doch wäre um die Beobachtungsstätte nicht in weitem Umkreis der Wald gerodet gewesen, hätte man die tiefstehende Sonne nicht anpeilen können.
Man darf spekulieren, der nächstgelegene Waldrand lag dort, wo er auch jetzt verläuft, einige hundert Meter im Süden, am Abbruch zum Saaletal hin. Das steile Gelände dürfte seit jeher für die Bauern wenig interessant gewesen sein.
Im Einzugsgebiet der Kreisgrabenanlage wohnten in der Jungsteinzeit Menschen mit einer sesshaften Lebensweise, die Ackerbau und Viehzucht betrieben. Die Waldrodung um Anbaufläche zu gewinnen, war eine Grundvoraussetzung für freie Sicht und den Bau des Sonnenobservatoriums.
Entdeckung und Wiederaufbau der Kreisgrabenanlage von Goseck
Bereits Anfang der 1970er Jahre waren Agrarfliegern der DDR die kreisförmigen Strukturen aufgefallen. Ab 1991 wurde das Sonnenobservatorium vom Luftbildarchäologen Otto Braasch wissenschaftlich erfasst. 1999 folgten sorgfältige Luftaufnahmen sowie hochauflösende Messungen des geomagnetischen Feldes, womit eine hochaufgelöste Karte der Struktur erstellt werden konnte. 200 Meter nordöstlich wurden dabei Reste einer prähistorischen Siedlung geortet.
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Zwischen 2002 und 2004 wurde die Anlage völlig freigelegt und zwischen Juni und Oktober 2005 gemäß den Forschungsergebnissen naturgetreu wiederaufgebaut. Jeder Eichenstamm wurde über die Länge die er in der Erde steckt zweimal angebrannt und mit Buchenholzteer bestrichen, um Fäulnis zu verhindern. Die oberen Enden der Stämme wurden mit Hanfseilen miteinander verbunden. Die Eröffnung wurde am 21.Dezember 2005 gefeiert, zur ersten Beobachtung der Wintersonnenwende nach rund 6900 Jahren.
Auf drei Stelen gleich rechts vom Zugang zum Nordtor der Anlage kann sich der Besucher nun mit Texten und Grafiken über Hintergründe informieren. Im etwa 1,5 Kilometer entfernten Schloss, für das das idyllische Dörfchen Goseck bisher schon bekannt war, wurde zudem ein Besucherzentrum eingerichtet, in dem über die Geschichte und Funktion der Anlage und das Leben der Menschen vor fast 7.000 Jahren informiert wird.
Besucherinformationszentrum im Schloss Goseck
Wenige Jahrhunderte vor dem Bau des Sonnenobservatoriums waren die ersten mitteleuropäischen Bauern aus dem Nahen Osten eingewandert. Neuere genetische Untersuchungen zeigen, dass die Zuwanderer die Landwirtschaft mitbrachten, d.h. Ackerbau und Viehzucht wurden nicht durch Kulturweitergabe von den bisher hier ansässigen Jägern und Sammlern übernommen.
In drei Gruben wurden menschliche Gebeine entdeckt, bei denen offenbar das Fleisch sorgfältig von den Knochen abgeschabt worden war. Möglicherweise handelt es sich hier um Menschenopfer oder Begräbnisrituale. Auch einige Rinderknochen, vor allem Schädel, wurden ans Tageslicht gefördert.
Etwa einen Kilometer von der Kreisgrabenanlage entfernt fand ein Forscherteam der Universität Halle schließlich die Überreste eines 7.000 Jahre alten neolithischen Ortschaft der Linearbandkeramik. Hier lebten mutmaßlich die Erbauer und Nutzer des Ringes.
Funde von Stichbandkeramik in der Nähe lassen vermuten, dass die Anlage dann etwa 200 Jahre benutzt wurde.
Fundort der Himmelsscheibe von Nebra
Rund 3.300 Jahre später, also vor 3.600 Jahren, wurde auf dem Mittelberg bei Nebra, rund 30 Kilometer von der Kreisgrabenanlage entfernt, eine Kupferscheibe vergraben, etwa vom Durchmesser einer Langspielplatte, verziert mit astronomischen Darstellungen aus Goldfolie. Aufgebracht war eine Mondsichel, der Vollmond und ein Sternenhimmel aus Goldscheibchen. Am Scheibenrand eingelassen finden sich schmale goldene Bögen.
Die Scheibe wurde im Jahr 1999 von Raubgräbern wieder ans Tageslicht befördert und konnte 2002 beschlagnahmt werden. Beigegeben wie bei einer Königsgruft waren zwei Schwerter, zwei Beile, zwei Armspiralen und ein Meißel. Die Griffe der Schwerter enthalten Birkenrinde, deren Alter durch die Radiokarbonmethode auf das 16. – 15. Jahrhundert v. Christus bestimmt werden konnte.
Die Himmelsscheibe von Nebra, wie sie inzwischen genannt wird, geriet zur weltweiten Sensation, sie gilt als die älteste Darstellung des Sternenhimmels. Im Juni 2013 wurde die Himmelsscheibe durch die UNESCO in das Register des Weltdokumentenerbes aufgenommen. Im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale hat sie inzwischen ihren dauerhaften Platz gefunden.
Im Gegensatz zum Sonnenobservatorium bei Goseck ist der Fundort der Himmelsscheibe auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht zu erreichen. Die Unstrutbahn bringt den Besucher in 51 Minuten von Naumburg(Saale) nach Wangen (Unstrut). Von der Bahnstation dort sind es etwa 10-15 Minuten Fußweg zum Besucherzentrum mit Planetarium, der „Arche Nebra“ am Fuß des Mittelberges. Von hier führt ein 3 Kilometer langes Sträßchen zum Ort der Entdeckung der Scheibe auf dem Gipfel.
Für privaten Verkehr ist der Weg gesperrt. An Wochenenden und Feiertagen, zu den Schulferien auch unter der Woche, verkehrt jedoch ein Shuttlebus zwischen dem Parkplatz der Arche Nebra, dem Besucherzentrum der Arche Nebra und dem Gipfel des Mittelberges. Fahrkarten gibt es direkt im Bus für 1 € pro Richtung.
Bilder zur Fundstelle der Himmelsscheibe
Erreicht der Besucher den Gipfel des Mittelberges findet er den genauen Fundort durch eine polierte Stahlkalotte markiert und geschützt, dem Himmelsauge, in dem sich das Firmament spiegelt. An der Einmündung des Weges in die Lichtung sind zudem zahlreiche Informationsstellen. Ein 30 Meter hoher Aussichtsturm bietet weite Blicke über die Wipfel bis zum Brockengipfel und ins Unstrut Tal. Der 10 Grad geneigte Turm fingiert gleichzeitig als Zeiger einer riesigen Sonnenuhr. Von der Turmbasis gehen zudem Betonbänder aus, die in die Richtungen der Sonnenauf- und untergänge zur Winter- und Sommersonnenwende zeigen.
Mehr Bilder zur Anlage in Goseck
Deutungen der Himmelsscheibe von Nebra
Die Himmelsscheibe von Nebra enthält unter anderem die gleichen astronomischen Zusammenhänge wie die Kreisgrabenanlage in Goseck. Der Winkel des goldenen Bogens bezüglich der Scheibenmitte entspricht dem Winkel zwischen Sonnenuntergangs- und Sonnenaufgangspunkt zur Wintersonnenwende, der gleiche Winkel der auch in der Anlage von Goseck realisiert ist.
Eine weitere Gesetzmäßigkeit ist in der Darstellung der etwa vier Tage alten Mondsichel in der Nähe einer aus Goldscheibchen geformten Gruppe von sieben Sternen verschlüsselt. Dieser Sternhaufen stellt höchstwahrscheinlich die Plejaden dar, auch Siebengestirn genannt. In den ersten Märztagen waren sie damals in unseren Breiten zum letzten Mal am Abendhimmel auszumachen, der Zeitpunkt für die Aussaat. Gingen sie ab Mitte Oktober am westlichen Morgenhimmel unter, war es ein Zeichen die Ernte einzufahren.
Die vom Sonnenstand bestimmten astronomischen Zyklen sind Jahr und Tag. Der Takt des Mondes ist der Monat. Da das Sonnenjahr 11 Tage länger ist als ein Mondjahr von 12 Monaten, ist es notwendig regelmäßig Schalttage einzufügen, damit sich im Kalender die Jahreszeiten nicht ständig verschieben. Auch unser moderner julianischer Kalender kennt eine solche Regel mit den Schaltjahren, die einen 29.Februar enthalten. Die Schaltregel der Himmelsscheibe kann so ausgelegt werden: „Steht im März eine knapp Viertel-Mondsichel bei den Plejaden füge einen Schaltmonat ein“.
Wie lange die Himmelsscheibe vor dem Vergraben verwendet wurde, wissen wir nicht sicher. Herstellung und Benutzung haben aber Spuren hinterlassen. Die Montage von Mond, Sternen und Rundbögen geschah sukzessive. Mehrere Modifikationen der Scheibe können ausgemacht werden. In ihrer ursprünglichen Form war auf der Himmelsscheibe eine Darstellung des Nachthimmels mit 32 Sternen sowie ein Voll- und ein Sichelmond zu sehen.
Zwei Bögen, die exakt die Winkel der Sonnenwenden repräsentieren, wurden später am Rand aufgesetzt. Ein Bogen ging offenbar lange vor dem Vergraben von der Scheibe verloren. Für diesen Bogen wurde ein Stern, der sonst verdeckt worden wäre versetzt. Unter dem erhaltenen Bogen sind zwei Sterne versteckt, die unversetzt blieben, wie Untersuchungen im Röntgenlicht zeigen.
Ein dritter Randbogen aus Goldfolie, der „gefiederte“ Bogen, wurde bei der folgenden Veränderung stilbrüchig am Scheibenrand zwischen die Sterne und die ersten zwei Bögen gezwängt, möglicherweise repräsentiert er eine Himmelsbarke. Den Mythos der Tag- und Nachtfahrt der Sonne kennen wir aus dem alten Ägypten. Ob die Idee eines Himmelsschiffes ihren Weg von Ägypten nach Mitteleuropa fand, oder sich die Mythen unabhängig voneinander entwickelten ist ungeklärt. Die Gebäudeform des goldgelb verkleideten Besucherzentrums „Arche Nebra“ ist der Form des Himmelsschiffes auf der Scheibe nachempfunden.
Die Goldfolien der Sterne, der zwei ersten Bögen und die Himmelsbarke besitzen jeweils verschiedene Silberanteile. Auch die Goldfolie des Sterns, den man für den verschwundenen Randbogen versetzte, hatte man nicht wiedereingesetzt, sondern eine Folie aus einer neuen Goldcharge verwendet, wie Analysen bei BESSY, dem Berliner Elektronenspeicherring mit Synchrotron-Röntgenfluoreszenz zeigen.
Schließlich wurden in den Rand der Himmelsscheibe rundum Löchern eingestanzt. Vorstellbar ist, dass die Scheibe auf einem Trägermaterial angenagelt oder genietet wurde, um sie als Standarte zu präsentieren. Als die Scheibe eingegraben wurde, war ihr astronomischer Code möglicherweise in Vergessenheit geraten.
Astronomische Bedeutung des Mittelbergs
Der Mittelberg hat selbst eine Lage die ihn in der Region astronomisch auszeichnet und seit jeher eine besondere kultische Bedeutung. Zur Sommersonnenwende am 21. Juni geht die Sonne genau hinter der Spitze des 80 Kilometer entfernten 1.300 Meter hohen Brockens unter. Am 1. Mai, ein Datum welches in vielen Kulturen als Frühlingsfest oder Beltaine gefeiert wird, steht die untergehende Sonne hinter dem Kyffhäuser mit dem Kulpenberg. Auch in der Gosecker Kreisgrabenanlage findet sich diese Peillinie.
Beim Fund durch die Raubgräber und der folgenden unsachgemäßen Reinigung wurde die Himmelsscheibe stark in Mitleidenschaft gezogen. Der von einem Hammerschlag zerfetzte Scheibenrand zeigt, dass die Scheibe aufrechtstehend, mit der Barke nach unten, im Boden steckte. Die Oberfläche wurde zerkratzt und die Goldbleche wurden zum Teil abgelöst. Die Schäden konnten inzwischen weitgehend behoben werden. Ein fehlender Stern wurde wieder eingefügt und die Vollmonddarstellung ausgebessert.
Laut den Raubgräbern war der Fundort mit schweren Steinen umgeben, die von ihnen teilweise weggeräumt wurden. Spätere Grabungen fanden im nächsten Umkreis keine Gräber und Siedlungsreste, sprechen aber dafür, dass er bereits beim Vergraben der Himmelsscheibe von zwei graden Wällen begrenzt war.
Hintergründe zur Herstellung der Himmelsscheibe
Ende des 3. Jahrtausends existierten bereits europaweite Fernhandelsrouten, wobei Mitteldeutschland eine zentrale Lage einnahm. Begehrt waren Gold, Kupfer, Zinn und Bernstein.
Das Kupfer aus dem die Himmelscheibe geschmiedet wurde, entspricht nach den Analysen den Vorkommen im prähistorischen Bergwerk auf dem Mitterberg im Salzburger Land. Aus dem östlichen Alpenraum wurde in der frühen Bronzezeit der überwiegende Teil Mitteleuropas mit Rohkupfer versorgt. Beim Gold konnte als Abbauort Cornwall nachgewiesen werden. 4 kg Bronze und 50 g Gold wurden für den Nebrafund verarbeitet.
Auch die Metalldekorationsverfahren sprechen für Verbindungen in den östlichen Mittelmeerraum.
Plattieren, Überziehen mit einer Goldschicht und Tauschieren, Einlegen von Metall.
Die 0,2 bis 0,4 Millimeter starken Goldfolien sind ins Kupfer der Scheibe ein Stückchen eingelassen und darin an ihren Rändern verklemmt. Die Ausführung unterscheidet sich aber von den ostmediterranen Arbeiten, nur die Idee war daher importiert und nicht die Technik als solche.
Bei Bornhöck südlich von Halle an der Saale wurde 2010 ein bronzezeitliches Hügelgrab entdeckt und zwischen 2014 und 2017 freigelegt. Der kegelförmige Hügel hatte ursprünglich 65 Meter Umfang und war 13 Meter hoch, war aber im Rahmen der Braunkohleförderung im 19. Jahrhundert abgetragen worden. Zwei Fürsten wurden darin bestattet, der eine vor 3.800 Jahren, der andere vor 3.750 Jahren. Offenbar waren es mächtige Herrscher mit Beziehungen nach ganz Europa. Das Grab wird der Aunjetitzer Kultur zugeordnet, zu der auch die noch erhaltenen Grabhügel in Leubingen und Helmsdorf gezählt werden. Dort wurden Schmucknadeln gefunden, deren Gold nach der metallurgischen Analyse aus der gleichen Mine in Cornwall stammt, wie das Gold der Himmelsscheibe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gab einer der Fürsten den Auftrag zu ihrer Herstellung. Demnach wäre die Himmelsscheibe viele Generationen in Benutzung gewesen, bis sie aus unbekanntem Grund auf dem 50 Kilometer von Bornhöcker Grabhügel entfernten Mittelberg wie ein Fürst vergraben wurde.
Wandern auf dem Himmelsscheibenweg
Der Fundort der Himmelsscheibe und die rekonstruierte Kreisgrabenanlage von Goseck gehören inzwischen zum touristischen Netzwerk Himmelswege mit fünf Zielen in Sachsen-Anhalt zur astronomischen Frühgeschichte. Dazu gehören noch das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle an der Saale, das das Ringheiligtum Pömmelte, und die Dolmengöttin von Langeneichstädt. Die Himmelswege Sehenswürdigkeiten liegen fast alle an beschilderten, gut ausgebauten Rad- und Wanderwegen. Der etwa 73 km lange Himmelsscheibenweg verbindet den Ausstellungsort der Himmelsscheibe und die Arche Nebra. Die Radler oder Wanderer passieren dabei die Weinstraße „Mansfelder Seen“, den Süßer See, Stadt und Burg Querfurt sowie den ausgedehnten Ziegelrodaer Forst.
Bildquellen: © Christian Wolter
Sehr interessanter Beitrag, hat mir bei meinem Schulvortrag über das Artefakt geholfen. Vielen Dank 🙂